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Daten und Fakten

Strategien zur Überwindung von Kinderarmut


Stellungnahme vom 5. November 2008 zur öffentlichen Anhörung der Kinderkommission des Deutschen Bundestages

Vorbemerkung: Systemimmanente Armutsbekämpfung oder konsequente Entscheidung gegen Kinderarmut?

Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter bedankt sich für die Gelegenheit, seine Strategien zur Überwindung von Kinderarmut vorzustellen. Im Vorfeld wurde dazu ein Fragenkatalog versendet, deren 15 Fragen die folgende Stellungnahme zu beantworten versucht. Dazu sei einleitend jedoch angemerkt, dass sich ein hoher Anteil der Fragen auf systemimmanente Lösungen wie eine Anhebung des Kinderregelsatzes oder einer Reform des Kinderzuschlages bezieht. Der VAMV hält diese Instrumente grundsätzlich für ungeeignet, Kinderarmut zu bekämpfen, da Kinder mit diesen Instrumenten immer in Abhängigkeit vom Erwerbsstatus oder Einkommen ihrer Eltern definiert werden. Jede leichte Anhebung beispielsweise des Kinderregelsatzes würde daher grundlegende Probleme dieser Konzeption nicht bekämpfen. Dennoch sollen im Folgenden auch diese Instrumente geprüft werden, um ggf. kurzfristige Lösungsansätze zu beleuchten.

Fragen 1 und 2: Die wichtigsten kommunalen, landes- und bundespolitischen Schritte zur Überwindung von Kinderarmut sowie Maßnahmen im Bereich Bildung, Infrastruktur, Betreuung und Jugendhilfe

Der VAMV hält es auf Bundesebene für unerlässlich, die Situation unterhaltsberechtigter Kinder zu verbessern. Dies sollte in einem ersten Schritt durch die Anhebung des Unterhaltsvorschusses auf die Höhe der ersten Stufe der Düsseldorfer Tabelle erfolgen, durch die Nichtanrechnung des Kindergeldes auf den Zahlbetrag im Unterhaltsrecht sowie eine regelmäßige Anpassung der Düsseldorfer Tabelle auch wenn der Mindestunterhalt nun an das Existenzminimum angepasst wird. Die Durchsetzung von Unterhaltsforderungen für Kinder muss erheblich verbessert werden.

Beziehen Kinder Unterhaltsleistungen, ihre Mütter oder Väter jedoch Leistungen nach dem SGB II, wird das Kindergeld auf den Bedarf der Eltern angerechnet. Beziehen die Kinder ausschließlich Sozialgeld, wird das Kindergeld auf diesen Betrag angerechnet, damit wird das Kindergeld zur willkürlich verschiebbaren Masse, deren Anspruchsberechtigte zunehmend unklar sind. Im Ergebnis entsteht die Situation, dass unterhaltsberechtigte Kinder ihren Eltern gegenüber unterhaltspflichtig werden. Gleichzeitig wird das Kindergeld jedoch hälftig auf den Kindesunterhalt angerechnet. Es kann daher dazu kommen, dass das Kindergeld 1,5 mal verrechnet wird.

Zur Kindergrundsicherung wird unter Frage 12 Stellung genommen. Dennoch ist dies aus Sicht des VAMV das wirksamste Mittel, um bundespolitisch Kinderarmut zu beenden.

Auf landespolitischer Ebene muss die Einführung der vollen Lehr- und Lernmittelfreiheit, der vollen Gebührenbefreiung für frühkindliche Bildung und die angemessene Sensibilisierung der Schulen und Lehrer/innen für die Situation von Kindern aus armen Familien erfolgen. Kinder dürfen in Schulen nicht hören "deine Mama ist Schuld, dass Du eine schlechte Note im Diktat hast", und das kommt vor. Die Privatisierung von Bildungsaufgaben ist einer modernen Wissensgesellschaft unangemessen und muss konsequent auf die Schulen umgelegt werden. Die ganztägige Bildung und Betreuung für alle Kinder und damit einhergehend eine freie Verpflegung sollten eine Selbstverständlichkeit sein.

Jede Form der Kategorisierung von Kindern, sei dies nach "Migrationshintergrund", Familienform, Lebensmittelpunkt oder anderen Merkmalen führt im Rahmen der Jugendhilfe zur Stigmatisierung. Vor dem Hintergrund verstärkter Maßnahmen unter dem Stichwort "Kinderschutz" entwickelt sich die Jugendhilfe, auch unter einer angespannten Mittelsituation, zunehmend zu einer Behörde, bei der Kontrolle im Vordergrund steht. Dies kann langfristig nichts zu einem gerechten und gelingenden Aufwachsen von Kindern beitragen. Jugendhilfe muss die Gelegenheit haben, vor einem gestärkten finanziellen Hintergrund und öffentlicher Wertschätzung echte Partnerin für Kinder und Jugendliche sein zu können. Dies kann nur gelingen, wenn die Kontrollfunktion gegenüber der Angebotsfunktion eingeschränkt wird und Abstand von der Frage der "Aufdeckung", "Einordnung" und Merkmalsfeststellung genommen wird.

Bildung und Betreuung müssen von vornherein Vielfalt unter Kindern mitdenken und anerkennen. Dies bedeutet sowohl die Anerkennung und der selbstverständliche Umgang mit kultureller Vielfalt als auch die Bereithaltung von Mitteln, die möglicherweise zu Hause nicht vorhanden sind. Statt zu problematisieren, dass Kinder ohne Frühstück das Haus verlassen, sollte ein Schul- oder KiTa-Frühstück zum Alltag gehören. Diese einfachen Maßnahmen, die in anderen europäischen Staaten seit vielen Jahren selbstverständlich sind, scheitern in der Bundesrepublik an diffusen Zuständigkeitsproblemen. Dies ist einer kindgerechten Gesellschaft nicht angemessen.

Fragen 3 und 4: Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie / familienfreundliche Arbeitswelt/ Maßnahmen zur Eindämmung von Niedriglohnbeschäftigung und Erwerbslosigkeit

Alleinerziehende finden häufig wegen eingeschränkter Möglichkeiten der Kinderbetreuung keinen Arbeitsplatz. Auch generelle Vorurteile gegenüber ihrer Verfügbarkeit sind regelmäßig zu bemerken. Dies kann in vielen Fällen nicht nur dazu führen, dass ein hoher finanzieller Aufwand für Kinderbetreuung im Ergebnis eine Erwerbstätigkeit unmöglich macht, sondern auch dazu, dass viele Alleinerziehende unterbezahlte oder unattraktive Arbeitsplätze annehmen. Dies ist jedoch das Problem eines geschlechterungerechten Arbeitsmarktes, der verheiratete Mütter ebenso wie Alleinerziehende benachteiligt. Eine familienfreundliche Arbeitswelt besteht bisher in erster Linie aus Symbolpolitik wie Auditierung und "Leuchttürmen", die überwiegend bereits etablierten Arbeitskräften zur Verfügung stehen. Die Basis, bestehend aus Angestellten in Klein- und Mittelbetrieben, aus Erwerbstätigen im Einzelhandel und Dienstleistungsgewerbe, hat von diesen Maßnahmen nichts.

Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass bereits die Lohnstruktur in vielen Berufen mit hohem Frauenanteil die Kinderarmut bedingt. Daher ist eine Eindämmung des Niedriglohnbereiches eine zwingende Voraussetzung für die Bekämpfung von Kinderarmut. Dies ist nicht genug: die derzeitigen Maßnahmen zur Beendigung von Erwerbslosigkeit sind nicht wirksam und bedenken die Situation von Müttern und Vätern nicht systematisch. Hinzu kommt der teilweise repressive Charakter der Maßnahmen, insbesondere im SGB-II-Regelungsbereich. Dies führt zu einer Verschärfung der Situation von Kindern in Armut, da ihre Eltern durch die Sanktionen und Vorschriften im SGB II zusätzlich belastet werden.

Fragen 5 und 6: Bedingungen für die Förderung von Kindern /
Einschätzung des Bedarfs


Der VAMV kritisiert die prozentuale Ableitung des Kinderregelsatzes vom Bedarf eines Erwachsenen bereits seit vielen Jahren. Dadurch entsteht ein nicht sachgerechter Regelsatz, der, wie viele Untersuchungen bereits nachgewiesen haben (darunter zuletzt die Neuberechnung durch den Paritätischen Wohlfahrtsverband), viel zu gering ist. Generell ist es an der Zeit, den Bedarf von Kindern umzudefinieren, denn Geld das für Kinder ausgegeben wird, ist eine Investition. Zahlreiche Forschungsergebnisse belegen, dass frühzeitig in Bildung, Infrastruktur und Armutsbekämpfung investierte finanzielle Mittel sich langfristig mehr als dreifach auszahlen, da diese Kinder als Erwachsene weniger delinquent werden, bessere Bildungsabschlüsse erzielen und eine höhere Arbeitsmarktbeteiligung aufweisen. Der investive Gedanke der Absicherung zukünftiger Generationen kommt derzeit fast ausschließlich unter dem Stichwort "Generationengerechtigkeit durch Einsparung" zum tragen, wirkt sich in dieser Perspektive jedoch negativ aus, denn es wird genau dort gespart, wo die nächste Generation ihre Befähigungen für ein gelingendes Aufwachsen erwirbt: In Schulen, bei der Jugendhilfe und im Zugang zu Infrastrukturen wie Sporteinrichtungen.

Frage 7: Auswirkung einer Regelsatzerhöhung auf die Armutsquote

Ziel einer Armutsbekämpfung muss der Abbau sozialer Ungleichheit sein. Wenn die Anhebung der Regelsätze zu einem höheren Anteil von Menschen im SGB-II-Bezug führt, ist dies nichts weiter als die realistische Anerkennung von Armut in unserer Gesellschaft. Dem VAMV sind ausreichend Fälle von Alleinerziehenden bekannt, die mit ihren Einkommen nicht ihre Kinder versorgen können, die keinen Unterhalt beziehen und deren Unterhaltsvorschuss ausgeschöpft ist. Diese Familien liegen knapp über dem SGB-II-Bedarf, ihre Situation ist deshalb nicht minder dramatisch. Wenn diese Familien durch eine Anhebung der Regelsätze statistisch sichtbar werden, ist dies ein klares Signal an die Arbeitsmarkt- und Lohnpolitik.

Frage 8: Auszahlung als Sachleistung oder zweckgebundene Gutscheine

Die Idee, Leistungen für Kinder in Form von zweckgebundenen Gutscheinen auszuzahlen basiert auf einem grundlegenden Misstrauen in die Fürsorglichkeit armer Eltern. Dies ist im doppelten Sinne widersinnig. Erstens werden Eltern durch Misstrauen und Anweisungen nicht befähigt, ihre Fürsorglichkeit unter Beweis zu stellen, zweitens führt dies zu einer Kategorisierung der Kinder selbst. Die Ungleichheit verläuft dann zwischen den Kindern, deren Eltern zugetraut wird, sich ihren Kindern gegenüber fürsorglich zu verhalten, und denjenigen, deren Eltern man es nicht zutraut und die über Sachleistungen oder Gutscheine versorgt werden. So entsteht eine doppelte Stigmatisierung der Kinder: zum einen über die rein ökonomisch definierte Diskriminierung, zum anderen durch die Kategorisierung gegenüber anderen Kindern. Wer so aufwächst, wird sich später selbst nicht zutrauen, eigenverantwortlich zu handeln. Sicher gibt es Ausnahmesituationen, beispielsweise, wenn die Eltern unter einer Suchterkrankung leiden - dies ist jedoch nicht die Regel. Die Nürnberger Befragung von Werner Wüstendorfer (2008) zeigt, dass arme Eltern zuerst bei sich selbst sparen, um ihren Kindern die besten Chancen zu ermöglichen. Der VAMV lehnt daher jede Form der Zweckbindung ab.

Frage 9: Ausgestaltung der Transferleistungen

Die derzeitigen Transferleistungen sind nicht geeignet, Kinderarmut, insbesondere in Einelternfamilien, wirksam zu bekämpfen. Der zu geringe Regelsatz für Kinder mit der willkürlichen Anrechnung des Kindergeldes wird seit langem vom VAMV kritisiert. Durch Regelsatz bzw. die Anbindung der Leistung für Kinder an den Erwerbsstatus der Eltern wird erreicht, dass Kinder bereits früh in ein System geraten, das eigentlich für Erwachsene ausgestaltet ist. Deutlich wird dies beispielsweise bei der willkürlichen Anrechnung des Kindergeldes in der Bedarfsgemeinschaft, beim Heranziehen von Stiefpartner/innen für Unterhaltsleistungen sowie beim Anspruchsübergang der Unterhaltsleistungen an die ARGEn. Hier sind jeweils Kinder finanziell anhängig von Entscheidungen der Leistungsträger, die in erster Linie jedoch ihre Eltern betreffen. So entsteht eine intransparente und nicht verlässliche Situation für Kinder.

Hinzu kommt, dass der Kinderzuschlag bei den Kindern von Alleinerziehenden nicht ankommt, da Unterhaltsleistungen voll angerechnet werden. Der VAMV hat dazu vorgeschlagen, Unterhaltsleistungen wie Elterneinkommen zu behandeln und nur hälftig anzurechnen. Der Kinderzuschlag ist zudem zu gering und wirkt sich in seiner Anbindung an die Erwerbstätigkeit der Eltern effektiv als Kombilohn aus. Aus Sicht des VAMV ist der einzige Weg einer effektiven Gestaltung dieser Instrumente der Ausbau des Kindergeldes zu einer bedingungslosen Kindergrundsicherung.

Frage 10: Staffelung des Kinderzuschlages nach Alter der Kinder

Wie bereits dargelegt kritisiert der VAMV den Kinderzuschlag sowohl hinsichtlich seiner Höhe, seiner Ausgestaltung als auch im Hinblick auf seine arbeitsmarktpolitischen Auswirkungen. Der Kinderzuschlag kann nur eine Interimslösung darstellen. Vor diesem Hintergrund sollte jedoch wenigstens der unterschiedliche Bedarf von Kindern in Abhängigkeit von ihrem Alter abgebildet sein und sich an die Kinderregelsätze anpassen. Anderenfalls können Eltern, die langfristig den Kinderzuschlag beziehen, sobald der Regelsatzbedarf für ihr Kind steigt, wieder in den SGB-II-Bezug geraten.

Frage 11: Staffelung des Kindergeldes nach Kinderzahl

Der VAMV lehnt die Staffelung des Kindergeldes nach Kinderzahl ab. Jedes Kind hat, unabhängig von seiner Stellung in der familiären Geburtenfolge, den gleichen Anspruch auf Entwicklung und Förderung. Die demographische Implizierung dieser Staffelung ist zudem höchst fragwürdig und sollte dringend überdacht werden. Wenn das Kindergeld eine Existenz sichernde Höhe erreichen würde, wie beispielsweise durch eine Kindergrundsicherung, würde sich die Frage nach der Staffelung des Kindergeldes nicht mehr stellen. Wer versucht, die Staffelung des Kindergeldes nach Kinderzahl als Armut vermeidendes Instrument zu begründen, müsste demnach zunächst das Kindergeld für Alleinerziehende erhöhen. Dies verdeutlicht, dass eine Einteilung des Kindergeldes nach Familienform unangemessen und diskriminierend in jede Richtung wirkt.

Frage 12: Bedarfsorientierte Kindergrundsicherung / Bürgergeld

Eine bedarfsorientierte Kindergrundsicherung würde Kinder erneut, wie bereits dargelegt, in Abhängigkeit von ihren Eltern definieren und den Investitionscharakter, den das Modell eigentlich hat, abschwächen. Der VAMV hält es im Sinne einer nachhaltigen Bekämpfung von Kinderarmut für notwendig einen Systemwechsel vorzunehmen, der sich von der Bedarfsorientierung verabschiedet und Kindern eigenständige Rechte und Ansprüche zugesteht. Die Verantwortung für Kinder muss als solidarische gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden werden, von der alle Gesellschaftsmitglieder profitieren, die aber auch eine grundsätzliche Entscheidung für diejenigen darstellt, die zunächst auf diese Solidarität angewiesen sind.

Wenn mit einem Bürgergeld die bedarfsunabhängige Existenz sichernde Leistung für Kinder gemeint ist, befürwortet der VAMV dieses Modell. Ein darüber hinaus gehendes Bürgergeld für Erwachsene wurde im VAMV noch nicht abschließend diskutiert. Es wird jedoch wegen seiner noch nicht abschließend beurteilten gleichstellungspolitisch zweifelhaften Wirkung eher kritisch gesehen. Ein Bürgergeld kann dazu führen, dass insbesondere Frauen mit schlechteren arbeitsmarktpolitischen Chancen sich vom Arbeitsmarkt abwenden und damit zu hohen Anteilen nicht mehr erwerbstätig sind. Da der VAMV jedoch die Erwerbstätigkeit von Mütter fördern möchte und dies zu seinen zentralen politischen Forderungen gehört, wird befürchtet, das Bürgergeld könne sich diesbezüglich negativ auswirken.

Frage 13: Weitere Maßnahmen zur Bekämpfung von Kinderarmut

Wie bereits bei der Beantwortung der Fragen 1 und 2 angerissen hält der VAMV es für dringend erforderlich, dass die Situation unterhaltsberechtigter Kinder nachhaltig verbessert wird. Etwa ein Drittel der Kinder von Alleinerziehenden erhält keinen oder unzureichenden und unpünktlich gezahlten Unterhalt. Etwa eine halbe Million Kinder leben vom Unterhaltsvorschuss, zu hohen Anteilen so lange, bis der Unterhaltsvorschuss aufgebraucht ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Kinder nach dem Ende des UVG ohne Leistungen dastehen ist sehr hoch. Insbesondere wenn ihre Eltern dann über der SGB-II-Bedarfsgrenze liegen, sind die Alleinerziehenden allein für den Unterhalt ihres Kindes verantwortlich.

Der VAMV beurteilt diese Situation als katastrophal. Unterhaltsberechtigte Kinder fallen einerseits aus dem System des Kinderzuschlages, wenn sie Unterhalt beziehen. Andererseits beziehen viele Kinder jedoch nicht einmal Kindesunterhalt in Höhe des Mindestunterhalts. Die Sätze des Mindestunterhalts liegen weit unterhalb dessen, was tatsächlich für Kinder ausgegeben wird. Faktisch bleibt ein großer Teil der Kosten und Leistungen für Kinder an den Alleinerziehenden hängen. Dies führt dazu, dass auch die finanziellen Aufwendungen Alleinerziehender für ihre Kinder unsichtbar werden. Dies verdeutlicht, dass die Trennung von Barunterhalt und Unterhalt durch Betreuung und Erziehung des Kindes eine anachronistische Fiktion ist, denn so wird nicht nur ein tradiertes Rollenbild weitergelebt, hinzu kommt, dass die Erziehung, Versorgung und Betreuung eines Kindes erneut als immaterielle und unsichtbare Leistung definiert wird.

Diese Situation kann nicht länger hingenommen werden. Die Kinder allein erziehender Eltern sind die größte und dauerhafteste Gruppe der in Armut lebenden Kinder. 72 Prozent der Bevölkerung geben an, dass hier der größte politische Handlungsbedarf liegt (Familienmonitor 2008). Bisher hat sich an der Situation Alleinerziehender, wie auch in den stabilen Zahlen der Alleinerziehenden im SGB II und der Kinder im Unterhaltsvorschuss sichtbar wird, kaum etwas geändert.

Frage 14: Prioritäten zwischen Infrastruktur und materiellen Leistungen

Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Situation ist der VAMV der Meinung, dass es keine Prioritäten zwischen Infrastruktur und materiellen Leistungen geben kann. Die katastrophale materielle Situation der Kinder in Armut lässt keinen Verzicht auf die Option der Erhöhung finanzieller Transfers zu. Gleiches gilt für den mangelhaften Zugang zu schulischer und außerschulischer Bildung, die soziale Entmischung von Stadtteilen - in diesem Zusammenhang bereits ein unterschiedlicher Zugang zu Infrastruktur, Peers, Sozialisationsgelegenheiten  - die Liste ließe sich endlos fortsetzen.

Frage 15: Mechanismen, die zu "vererbter Armut" führen / wie kann verhindert werden, dass durch höhere Transferleistungen der Anreiz zu eigenem Erwerbseinkommen vermindert wird?

Bereits der Begriff "vererbte Armut" legt eine individualisierende Perspektive auf Armut, die möglicherweise über mehrere Generationen hinweg besteht. Die Mechanismen von Ausschluss, die bereits im frühen Kindesalter greifen, von schlechteren Bildungschancen und von mangelnder Durchlässigkeit sowohl im Bildungssystem als auch im Erwerbsleben sind tradiert und nicht durch einfache politische Maßnahmen zu durchbrechen. Solange Kinder im Fürsorgesystem verbleiben und damit bereits ab der Geburt kategorisiert werden, Chancen früh eingeschränkt und begrenzt werden, Kinder in Abhängigkeit vom Erwerbsstatus ihrer Eltern beispielsweise Sozialgeld beziehen oder Kinderzuschlag ist die "Vererbung" ein strukturelles Merkmal des Fürsorgesystems, keine Frage der individuellen Herkunft.

Der VAMV zweifelt zudem grundsätzlich daran, dass "zu hohe" Transferleistungen zu mangelndem Engagement bei der Suche nach Erwerbstätigkeit führen werden. Dies müsste, polemisch ausgedrückt, im Ergebnis heißen, dass die Streichung aller Transfers zu Vollbeschäftigung führe und dies ist erwiesenermaßen nicht der Fall. Der VAMV wehrt sich gegen die Annahme, dass insbesondere Alleinerziehende zusätzliche Anreize benötigen, um in den Arbeitsmarkt einzusteigen. Die Vielschichtigkeit heutiger Erwerbslosigkeit besteht aus Qualifikationsdefiziten, mangelnder Existenz sichernder und sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung sowie dem Ausschluss von Müttern aus dem Erwerbsleben. Diesen Mängeln kann nicht durch eine Einschränkung der Transfers begegnet werden.