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Daten und Fakten

Vaterschaftsfeststellung unabhängig vom Anfechtungsverfahren


Stellungnahme vom 12. Juni 2007 zur Einführung des §1598a BGB infolge des Bundesverfassungsgerichtsurteils zu heimlichen Vaterschaftstests

Vorbemerkung
Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) bedankt sich für die Gelegenheit, zum oben genannten Gesetzentwurf Stellung zu nehmen. Die genetische Klärung der Vaterschaft ist mit gesamtgesellschaftlichen Implikationen verbunden. Daher geht die Stellungnahme zunächst auf die allgemeine Bedeutung eines solchen Gesetzes ein. Im Anschluss werden die Einzelnormen bewertet.

Zur Möglichkeit genetischer Abstammungsfeststellung
Der Gesetzgeber steht angesichts des naturwissenschaftlich-medizinischen Fortschritts immer wieder vor der Aufgabe, diesen mit der Werthaltung einer Gesellschaft in Einklang zu bringen und dafür gesetzliche Regelungen zu finden. Im Rahmen der Wissenschaftstheorie wird auf das Verhältnis von Naturwissenschaft und Ethik hingewiesen, und auch das sich ergebende Spannungsfeld wird eindrücklich umrissen. Insbesondere die kritische Wissenschaftstheorie hat sich mit dem Einfluss androzentrischer Wissenschaft auf die Verfestigung gesellschaftlicher Verhältnisse auseinandergesetzt. Wissenschaft ist nie auf das reine Erkenntnisinteresse oder den gesamtgesellschaftlichen Nutzen reduzierbar, ihre Ergebnisse und Verfahren eröffnen auch Spielraum für die Etablierung und den Erhalt von wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Macht. Der Gesetzgeber ist nicht nur aufgefordert ist, einen gesetzlichen Rahmen herzustellen, in dem jede naturwissenschaftlich-medizinische Möglichkeit ausgeschöpft wird, sondern er muss auch Grenzen setzen, wo Werte verletzt werden. Diese sehr anspruchsvolle Aufgabe stellt sich nun, da die Feststellung der Abstammung durch einen Gentest möglich ist.

Zunächst stellt sich die Frage, wer an einer solchen Feststellung ein Interesse hat. Hierzu stellt das Bundesverfassungsgericht (BverfG) vom 13. Februar 2007 (1 BvR 421/05) eindeutig fest, dass dies in den meisten Fällen der rechtliche Vater des Kindes ist. Das BverfG stellt in seinem Urteil auch klar, dass Vaterschaft rechtlich derzeit über eine Vermutung hergestellt wird. Dieser Vermutung geht jedoch in aller Regel das Rechtsinstitut der Ehe voraus oder eine Anerkennung der Vaterschaft. In beiden Fällen ist anzunehmen, dass im überwiegenden Teil der Elternschaft eine vertrauensvolle und intime Beziehung vorausgeht. Durch den neuen Gesetzentwurf würde diese auf gegenseitigem Vertrauen basierende Beziehung generell unter Vorbehalt gestellt.

Das bestehende Verfahren der Vaterschaftsanfechtung nach §§ 1600 ff. BGB setzt begründete Zweifel an der Abstammung voraus und grundsätzlich besteht die Möglichkeit, bei Zustimmung der Betroffenen die Abstammung feststellen zu lassen. Der vorliegende Gesetzentwurf soll nun für Fälle, in denen nicht alle Betroffenen einwilligen, die Möglichkeit eröffnen, die Zustimmung durch ein Familiengericht zu ersetzen.

Hauptsächliche Antragsteller werden so genannte "zweifelnde Väter" sein. Vom Ersatz der Zustimmung werden in erster Linie Mütter und Kinder betroffen sein. Elternschaft und Abstammung sind ein äußerst sensibles Thema. Diesem muss durch eine mit Kriterien konkretisierte Gesetzesformulierung Rechnung getragen werden. Im Fokus müssen dabei die Interessen und Rechte des Kindes stehen.

Vor diesem Hintergrund ist anhand der Einzelnormen zu prüfen, ob der Gesetzgeber beim vorliegenden Gesetzentwurf die Belange von Kindern, Müttern und Vätern ausreichend berücksichtigt hat, oder ob einseitig Belange bevorzugt behandelt wurden. Es ist auch zu prüfen, ob die Werthaltung dieser Gesellschaft in das Gesetz Eingang gefunden hat.

Zu den Normen im Einzelnen

§1598a BGB Anspruch auf Einwilligung in eine genetische Untersuchung zur Klärung der Abstammung
Die Betroffenen haben nach Absatz 1 einander gegenüber einen Anspruch auf die Einwilligung zur genetischen Abstammungsuntersuchung sowie zur Duldung der Probenentnahme. Absatz 2 regelt, dass das Familiengericht auf Antrag die Einwilligung zu ersetzen und die Probenentnahme anzuordnen hat. Absatz 3 stellt als einzigen Tatbestand, der zur Aussetzung des Verfahrens führt, eine erhebliche Gefährdung des Kindeswohls fest.

Bewertung: Der bewusst neutral gehaltene Text verschleiert, dass es sich im Regelfall um den Vater handelt, der gegenüber Mutter und Kind seinen Anspruch durchsetzt. Die einzige Ausnahme bildet eine "erhebliche Gefährdung des Kindeswohls", wobei diese nur zur Aussetzung des Verfahrens führt. Der VAMV kann nicht erkennen, wie in der Praxis festgestellt werden soll, wann eine Kindeswohlgefährdung endet. Suchterkrankungen können beispielsweise unter Belastungssituationen jederzeit wieder auftreten. Grundsätzlich führt das Anzweifeln der Abstammung für ein Kind zu einer nachhaltigen Erschütterung des Selbstbildes und der familiären Beziehung. Um Kinder vor diesem willkürlichen Eingriff zu schützen, müssen weitere Kriterien eingefügt werden. Voraussetzungen seitens des Vaters oder der Mutter, die zur Aussetzung eines Verfahrens führen können, fehlen vollständig. Das Bundesverfassungsgericht weist in seinem Urteil darauf hin, dass das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (und damit auf Kenntnis der Abstammung) nicht schrankenlos gewährt wird. "Es kann nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung ausgeübt werden und unterliegt der gesetzgeberischen Ausgestaltung, die erst dann das Grundrecht verletzt, wenn der Gesetzgeber hierbei verfassungswidrige Zwecke verfolgt oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht wahrt" (1 BvR 421/05, Abs. 62). Die Wahrung der Verhältnismäßigkeit sieht der VAMV im vorliegenden Entwurf nicht als gegeben an, da die Rechte des Vaters gegenüber denen des Kindes Vorrang erhalten.

Änderungsbedarf:

  • §1598a Abs. 2 BGB: "Wird der Anspruch auf Einwilligung nicht erfüllt, hat das Familiengericht die Einwilligung auf Antrag einer der in Absatz 1 genannten Personen zu ersetzen und die Duldung einer Probenentnahme nach Absatz 1 anzuordnen."  soll wie folgt ersetzt werden:

neu:
Wird der Anspruch auf Einwilligung nicht erfüllt, hat das Familiengericht im Einzelfall den Ersatz der Einwilligung auf Antrag einer der in Absatz 1 genannten Personen zu prüfen, und gegebenenfalls die Duldung einer Probenentnahme nach Absatz 1 anzuordnen. Der Ersatz der Einwilligung muss an die Begründung schwerwiegender Zweifel an der Abstammung gebunden sein.

  • § 1598a Abs. 3 BGB: "Das Gericht setzt das Verfahren aus, wenn und solange die Klärung der Abstammung eine so erhebliche Beeinträchtigung des Kindeswohls begründet, dass sie auch unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers für das Kind unzumutbar ist." soll wie folgt ersetzt werden:

neu:
Das Gericht setzt das Verfahren aus oder weist den Antrag ab, wenn die Klärung der Abstammung eine Beeinträchtigung des Kindeswohls oder eine unzumutbare psychische oder physische Belastung weiterer nicht einwilligender Personen  begründet.

§1600 Abs. 5
Der eingefügte Absatz sieht vor, dass die Anfechtung der Vaterschaft in Fällen ausgeschlossen ist, in denen das Kindeswohl unzumutbar erheblich beeinträchtigt wird. Der Kläger hat dennoch die Möglichkeit, nach der Abweisung der Klage erneut zu klagen.

Bewertung: Die Belange von Mutter und Kind werden durch eine Vaterschaftsanfechtung nachhaltig beeinträchtigt. Wird einen Klage wegen einer Beeinträchtigung des Kindeswohls abgewiesen, kann der VAMV keine Kriterien erkennen, wann das Ende der Beeinträchtigung abzusehen ist, oder ob eine erneute Klage nicht bereits zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung führt. Ein Kind hat das Recht auf einen stabilen familiären und rechtlichen Rahmen. Dieser würde durch wiederholte Klagen unzumutbar erschüttert. Zudem sollte grundsätzlich neben dem Kindeswohl auch der Kindeswille berücksichtigt werden, der fast immer darauf gerichtet ist, die Familienbeziehung zum rechtlichen Vater zu erhalten.

Änderungsbedarf:

  • § 1600 Abs. 5 BGB: "Die Anfechtung der Vaterschaft ist ausgeschlossen, wenn und solange die Folgen der Anfechtung eine so erhebliche Beeinträchtigung des Kindeswohls begründen, dass sie auch unter Berücksichtigung der Belange des Anspruchstellers für das Kind unzumutbar sind. Wird eine Klage abgewiesen, weil die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen, steht die einer erneuten Anfechtungsklage nicht entgegen…" soll wie folgt ersetzt werden:

    neu:
Die Anfechtung der Vaterschaft ist ausgeschlossen, wenn die Folgen der Anfechtung eine erhebliche Beeinträchtigung des Kindeswohls begründen.

§56 Abs. 4 FGG
Der Entwurf sieht vor, dass bei wiederholter unbegründeter Verweigerung der Probenentnahme unmittelbarer Zwang angewendet werden kann.

Bewertung: Davon abgesehen, dass der VAMV es grundsätzlich ablehnt, dass genetische Untersuchungen gegen den Willen der Betroffenen auf gerichtliche Anordnung durchgeführt werden, sind Zwangsmittel in diesem sensiblen Feld völlig unangebracht. Jedes Zwangsmittel in familiengerichtlichen Verfahren führt unweigerlich zu einer Konfliktverschärfung und dient  unter keinen Umständen einem der Beteiligten. Es ist nach Auffassung des VAMV mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung unvereinbar, dass abgesehen von Verfahren der Strafgerichtsbarkeit genetische Untersuchungen erzwungen werden.

Änderungsbedarf:

  • § 56 Abs. 4 FGG: Der Satz "Bei wiederholter unberechtigter Verweigerung der Untersuchung kann auch unmittelbarer Zwang angewendet, insbesondere die zwangsweise Vorführung zur Untersuchung angeordnet werden." soll ersatzlos gestrichen werden.


Fazit
Die Einzelnormen des Gesetzentwurfs schützen fast ausschließlich die Belange der Antragsteller. In Einzelfällen wird das Kindeswohl als Einschränkungsvariable angegeben. Die Belange der weiteren Betroffenen (Mütter) werden durch das Gesetz in keiner Weise geschützt, im Gegenteil, sie stehen zur Disposition. Durch den voraussetzungslosen und "bewusst niedrigschwelligen" Gesetzentwurf sind Mütter und Kinder jederzeit willkürlichem Misstrauen und medizinischer Kontrolle ausgesetzt.

Der VAMV lehnt es ab, dass unter dem Vorwand des "wissenschaftliche Fortschritts" ein Gesetz verabschiedet wird, das Frauen und Kinder massiv benachteiligt. Das Recht des Kindes auf einen verlässlichen familiären Bezugsrahmen wird durch die Ermöglichung der Vaterschaftsanfechtung grundsätzlich eingeschränkt. In keinem Punkt des Verfahrens der Vaterschaftsanfechtung oder der Vaterschaftsfeststellung wird neben dem Kindeswohl der Wille des Kindes, dem Vater rechtlich und sozial verbunden zu bleiben, Rechnung getragen. Es ist einer modernen und demokratischen Gesellschaft und im internationalen Kontext unangemessen, Kinderrechte in dieser Form zu beschneiden.

Darüber hinaus sind der Umgang mit genetischem Material, insbesondere der mögliche Test auf weitere genetische Informationen sowie der Verbleib des genetischen Materials nach dem Test im Gesetz nicht geregelt. Hier sieht der VAMV erheblichen Handlungsbedarf.