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Daten und Fakten

Umgangsverweigerung durch umgangsberechtigten Vater


Stellungnahme vom 28. November 2006 zur Verfassungsbeschwerde 1 BvR 1620/04

Kurzzusammenfassung des Falles:

Der verheiratete Kindsvater eines nichtehelichen Kindes weigert sich die Umgangspflicht wahrzunehmen. Das OLG Brandenburg droht ihm bei Nicht-Wahrnehmung der Umgangspflicht ein Zwangsgeld an. Durch die Androhung des Zwangsgeldes sieht der Kindsvater sich in seinen Grundrechten aus Art. 1, Art. 2 II und II, Art. 6 und Art. 20 III GG verletzt und klagt beim Bundesverfassungsgericht.

Bereits das Familiengericht Brandenburg hat den Antrag der Mutter des zu diesem Zeitpunkt zweijährigen Kindes abgewiesen, da das Umgangsrecht nicht von den Eltern eines minderjährigen Kindes gegen den Willen des umgangspflichtigen Elternteils durchgesetzt werden könne. Hiergegen legt die Kindsmutter Beschwerde beim OLG Brandenburg ein. Das OLG Brandenburg entscheidet im Sinne der Kindsmutter und droht dem Kindsvater ein Zwangsgeld an, wenn er weiterhin die betreuten Umgangskontakte verweigert. Dagegen legt der Kindsvater Verfassungsbeschwerde ein.
Die 3. Kammer des Bundesverfassungsgerichts gibt ihm einstimmig recht, da sie eine Verletzung des Art. 2 Abs. 1 i.V. mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz sieht und hebt den Beschluss des OLG Brandenburg auf.
Daraufhin wurde das Verfahren vom OLG Brandenburg fortgeführt. Hierbei droht das OLG Brandenburg dem Kindsvater erneut ein Zwangsgeld (in Höhe von 25.000 Euro) an, wenn er seiner Umgangspflicht nicht nachkommt. Hiergegen legt der Kindsvater erneut vorliegende Verfassungsbeschwerde ein (vgl., zum Fall und seinen Instanzen die Anfrage des Bundesverfassungsgerichts zur Stellungnahme der Verbände vom 18.9.06).

Der VAMV nimmt im Folgenden zu den Fragen einer möglichen Verletzung des Art. 6 und Art. 2 I und II sowie den zu erwartenden politischen und rechtlichen Signalwirkungen der anstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgericht Stellung.

Mögliche Verletzung von Art. 6 GG

Der Beschwerdeführer sieht seine eheliche Familie durch die Umgangspflicht mit seinem nichtehelichen Kind gefährdet und meint deshalb, dass die Androhung des Zwangsgeldes sein Grundrecht aus Art. 6 verletzt.
Diese Argumentation ist nicht überzeugend, da eheliche und uneheliche Kinder in Gesetzesnormen und im Rechtsverständnis der Bevölkerung als gleichwertig angesehen werden. Zudem ist es nicht ersichtlich, warum die vollzogene Umgangspflicht einen tiefen Eingriff in die eheliche Familie des Beschwerdeführers bedeutet. Vor allem gibt es keinen Grund für die einseitige Bevorzugung der ehelichen Familie gegenüber dem bei der allein erziehenden Mutter aufwachsenden nichtehelichen Kind.

Daher liegt aus Sicht des VAMV keine Verletzung von Art. 6 GG vor.

Mögliche Verletzung von Art 2 GG

Die entscheidende Frage ist deshalb, ob der Eingriff in die Grundrechte aus Art 2 I und II GG durch die Androhung eines Zwangsgeldes verhältnismäßig sind und dem Kindeswohl dienen.

Aus Sicht des VAMV steht das Kindeswohl grundsätzlich über den Interessen der Eltern. Daher ist ein Eingriff in die Grundrechte der Eltern dann legitim, wenn es dem Kindeswohl dient. Ist der Umgang der ausdrückliche Wunsch des Kindes, dann sind gerichtliche Zwangsmaßnahmen, selbst wenn sie die Persönlichkeitsrechte der Eltern einschränken, aus der Perspektive des VAMV angemessen.

Würde beispielsweise ein 15-jähriges Kind verlangen, dass es den Elternteil kennen lernen will, dann hält der VAMV es für legitim diesen Willen des Kindes notfalls auch gegen den Willen eines Elternteils durch ein Zwangsgeld durch zu setzen.

Im vorliegenden Fall kann, aufgrund des Alters des Kindes, noch nicht auf eine autonome Entscheidung des Kindes zurückgegriffen werden. Daher muss anhand psychologischer Gutachten und dem aktuellen Stand der psychologischen Forschung abgeschätzt werden, was dem Kindeswohl entspricht.

Das OLG Brandenburg argumentiert daher auf folgenden Ebenen für eine mit einem Zwangsgeld durchgesetzte Umgangspflicht:

  1. Das angefertigte psychologische Gutachten geht davon aus, dass der Kontakt mit dem Vater zu keinen negativen Folgen für das Kind führe. Positiv stellt das Gutachten dabei lediglich in Aussicht, dass die seltenen Vater-Sohn-Kontakte zwar keine stabile Vater-Sohn-Bindung, aber die Möglichkeit auf einen eventuellen späteren Bindungsaufbau darstellen können (vgl., OLG 15 UF 233/00, S. 6f.).
  2. Durch diese Möglichkeit eines späteren Bindungsaufbaus würde dem Kind ein "Reserve-Elternteil" entstehen, dass jederzeit in die volle sorgerechtliche Position einrücken könne (vgl., OLG 15 UF 233/00, S. 7).

Offenkundig sieht auch das OLG Brandenburg die Möglichkeit einer positiven Bindung des Kindes an den leiblichen Vater insgesamt als gering an. Diese positive Bindung ist jedoch für das Kind entscheidend und keinesfalls der Umstand, ob die Bezugsperson der leibliche Vater ist oder nicht.
So kommt Judith Wallerstein in ihrer Langzeitstudie zum Kindeswohl hier zu folgendem Ergebnis. Es "hängt von dem Kind, von seinen Eltern und davon ab, wie die Eltern miteinander und mit ihrem Kind umgehen." Im Zentrum für das Kindeswohl steht nicht der Umstand eines Kontaktes an sich, sondern die Qualität der Beziehungen. Negative Folgen für das Kind sind dann zu vermuten, wenn die Eltern wie in diesem Fall tief zerstritten sind.

Im vorliegenden Fall ist kaum anzunehmen, dass der Vater, nachdem er nach mehreren gerichtlichen Instanzen und nur durch die Androhung eines Zwangsgeldes zum Umgang bewogen wird, bereit oder in der Lage ist eine positive Bindung zu seinem Kind aufzubauen.
Die Vorsitzende des VAMV, Edith Schwab, hat sich hierzu in Bezug auf ein Urteil des OLG Köln folgendermaßen geäußert: "Im Beschluss des OLG Köln vom Dezember 2002 wird die angesprochene Problematik auf den Punkt gebracht: Bei der Durchsetzung der elterlichen Pflicht zum Umgang auch gegen den Willen des Verpflichteten muss das Wohl des Kindes leitendes Prinzip sein. Es sei zu beachten "dass ein Zwang zum Umgang vom Grundsatz her als problematisch erscheinen kann, weil fraglich ist, ob der zum Umgang gezwungene Elternteil dem Kind mit der wünschenswerten inneren Freiheit begegnen und dem Kind dabei die Zuwendung und Zuneigung entgegenbringen kann, die den Umgang erst zu einem Gewinn für das Kind machen kann."

Für das Kind sind enge stabile positive Beziehungen bedeutsam. Das gilt auch für die Beziehung des Kindes zu seinem leiblichen Vater. Es gilt jedoch ebenso für andere enge Bezugspersonen wie etwa ein Adoptivelternteil. Und für das Kindeswohl ist eine fehlende Beziehung im Zweifelsfall immer noch besser als eine schlechte Beziehung zum leiblichen Vater. Deshalb tritt der VAMV dafür ein das Umgangsrecht, etwa bei Gewaltbereitschaft eines Elternteils, einzuschränken bzw. zu entziehen (vgl. VAMV Familienpolitisches Grundsatzprogramm, 2000). Zwar ist die enge positive Beziehung des Vaters, der Mutter und anderer Personen zu dem Kind wünschenswert. Aber die rein biologische Verbindung zum Kind führt nicht zwingend zu einem positiven Verhältnis mit dem Kind.

Daher dient ein gerichtlich erzwungener Kontakt mit dem Kindsvater im vorliegenden Fall nicht dem Kindeswohl und die Einschränkung des GG II des Kindsvater kann nicht legitimiert werden.

Folglich ist die Verfassungsbeschwerde aus Sicht des VAMV begründet.

Rechtliche und politische Signalwirkungen der Entscheidung

Der hier verhandelte Fall steht in folgendem gesellschaftspolitischen und empirischen Kontext. Die Verweigerung der Umgangspflicht kommt häufig vor. Die Verhängung von Zwangsgeldern hält der VAMV allerdings für kein geeignetes Mittel. So stellt sich der VAMV auch gegen die gängige Praxis der Verhängung von Zwangsgeldern gegen Betreuende, die oft zum Schutze des Kindes vor Gewalt, den Umgang des Kindes mit dem Umgangsberechtigten unterbinden bzw. verweigern.

Insofern wendet sich der VAMV gegen die von Seiten des Beschwerdeführers vorgebrachte Ansicht, dass § 33 FGG dahingehend ausgelegt werden soll, dass der betreuende Elternteil durch Zwangsmittel zur Ermöglichung des Umgangs des Kindes mit dem außerhäuslichen Elternteil gezwungen werden soll. Vielmehr vertritt der VAMV die Position, dass Zwangsmittel gegen betreuende Elternteile generell nicht sinnvoll sind. So belasten die gegen Alleinerziehende verhängten Zwangsmittel vor allem das Kindeswohl. Und zudem gibt es häufig gute Gründe für die Verweigerung oder Vereitelung des Umgangs im Sinne des Kindeswohls.

Denn neben der Verweigerung des Umgangs, ist oft die Anwendung von Gewalt durch den Umgangsberechtigten bzw. die Umgangsberechtigte das Hauptproblem. Mit der Kindschaftsrechtsreform hat der Gesetzgeber durch den begleiteten Umgang hier eine Möglichkeit geschaffen Kinder vor den Übergriffen von umgangsberechtigten Eltern zu schützen. Zudem hat er die Autonomie und Selbstbestimmung der Kinder gestärkt. Die Wandlung vom Umgangsrecht der Eltern hin zur Umgangspflicht der Eltern in der Kindschaftsrechtsreform von 1998, ist primär als politisches Signal in diese Richtung zu werten. Es stärkt Kinderrechte in Anlehnung an die Kinderrechtscharta der UN.

Positiv könnte eine Ablehnung der hier diskutierten Verfassungsbeschwerde des Kindsvaters die neue Norm der Umgangspflicht durchsetzen und verstärken. Von einer Entscheidung zugunsten des Umgangsrechts des Kindes, das über das Persönlichkeitsrecht des Vaters gestellt würde, wäre eine positive normenbildende Signalwirkung zur Stärkung von Kinderrechten zu erwarten.
Jedoch kann eine Ablehnung der Verfassungsbeschwerde des Kindsvaters und die damit verbundene gerichtliche Durchsetzung der Umgangspflicht auch eine Reihe von negativen Auswirkungen haben. Zunächst ist der Wandel der Norm von einem Umgangrecht hin zu einer Umgangspflicht zwar gesetzlich verankert, aber die Verhängung eines Zwanggeldes zur Durchsetzung dieses Rechts des Kindes dürfte auf geringe gesellschaftliche Akzeptanz treffen. Damit besteht die Gefahr, dass die intendierte positive Signalwirkung einer gerichtlichen Durchsetzung von Umgangspflichten die politische Durchsetzungsfähigkeit von Kinderrechten langfristig durch mangelhafte Akzeptanz schwächt.

Nur die Zuschreibung einer herausragenden Rolle des biologischen Vaters für das Kindeswohl begründet den tiefen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Vaters. Eine solche exklusive - und in ihrem Kern essentialistische Sichtweise der Familie als natürliche biologische Einheit - ist aus Sicht des VAMV äußerst problematisch und würde ein falsches politisches Signal aussenden.
Das Kind kennt den Vater im vorliegenden Fall nicht und ist zu jung um eine autonome Willensäußerung zu tätigen. Auch in den Worten des Gutachters des OLG Brandenburg hat "...das Kind keine innere Repräsentanz des Kindsvaters ..."(vgl., OLG 15 UF 233/00, S. 7).
Es ist auch unwahrscheinlich, dass es gelingt durch gerichtlichen Zwang eine positive Vater-Kind-Bindung herzustellen. Begründet werden könnte dies wohl nur durch eine biologistische Sichtweise, die darauf beruht, dass nur der Kontakt mit dem biologischen Vater dem Kindeswohl zuträglich sei. Eine solche exklusive Rolle des biologischen Vaters entbehrt empirischer Grundlagen. Sie negiert die gesellschaftliche Realität in der zahlreiche Familien (Einelternfamilien, Patchworkfamilien, Adoptivfamilien, Fortsetzungsfamilien etc.) nur teilweise oder gar nicht genetisch miteinander verwandt sind. Der VAMV hat stets darauf hingewiesen, dass eine Einbindung beider Eltern bei Umgangs- und Sorgerechtsangelegenheiten sinnvoll ist.
Der VAMV betont aber auch, dass es Ausnahmen von dieser (positiven) Regel geben muss. So ist eine getrennte Einelternfamilie vor dem 'Hineinregieren' des biologischen Elternteils zu schützen: In Fällen von Gewalt oder Kindesmisshandlung muss es die Möglichkeit geben, den Umgang abzubrechen. Auch beim Sorgerecht muss die Möglichkeit bestehen strittige Entscheidungen zu fällen (siehe, VAMV Familienpolitisches Grundsatzprogramm, 2000).
Bei Ablehnung der Verfassungsklage ist deshalb zu befürchten, dass die staatlichen Gewalten im deklarierten Kindeswohl auch den Umgang biologischer Eltern gegen den Willen des Kindes sowie das gemeinsame Sorgerecht erzwingen.

Fazit:
Eine Verletzung von Art. 6 GG liegt nicht vor, jedoch eine Verletzung von Art. 2 I und II GG. Grundsätzlich müssen Eltern Einschränkungen ihres Persönlichkeitsrechtes zwar zugunsten des höherwertigen Kindeswohls hinnehmen. Bei einer autonomen Willensentscheidung - etwa bei einem älteren Kind, das dezidiert zum Ausdruck bringt 'seinen Vater oder seine Mutter' kennen lernen zu wollen - wäre auch ein Zwangsgeld aus Sicht des VAMV angemessen, um dem Kind die Durchsetzung seines Umgangsrechts zu ermöglichen. Im vorliegenden Einzelfall ist das Kindeswohl jedoch nicht durch eine autonome Willensentscheidung des Kindes zu evaluieren, und es ist zu vermuten, dass der Umgang mit dem Vater eher negative Folgen für das Kindeswohl hat.

Politisch befürchtet der VAMV, dass von der gerichtlichen Durchsetzung der Umgangspflicht eine legitimierende Wirkung für eine exklusive Rolle eines biologischen Elternteils ausgeht, die Umgang und gemeinsames Sorgerecht 'um jeden Preis' rechtfertigen würden.

Eine Verletzung von Art. 6 GG liegt nicht vor, jedoch eine unbegründete und unverhältnismäßige Verletzung von Art. 2 GG I und II. Daher ist die Verfassungsklage nach Ansicht des VAMV begründet.