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Daten und Fakten

Zulässigkeit heimlicher Vaterschaftstests


Stellungnahme vom 23. Februar 2006 zu den Verfassungsbeschwerden 1 BvR 421/05 und 1 BvR 465/05

Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter, e. V. ist mit Schreiben vom 9. November 2005 vom Vorsitzenden des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts, Herrn Prof. Dr. Papier, aufgefordert worden, zu den oben genannten Verfassungsbeschwerden und den darin aufgeworfenen Rechtsfragen Stellung zu nehmen. Dieser Aufforderung kommt der VAMV gerne nach und nimmt wie folgt Stellung:

Beide Beschwerdeführer begehren im Wege der Anfechtungsklage die Feststellung zu treffen, dass sie nicht Väter des jeweiligen Kindes sind. Die Anfechtungsklage stützt sich in beiden Fällen auf einen erfolgten Vaterschaftstest. Dieser Test wurde ohne das Wissen und die Zustimmung des Kindes bzw. der allein sorgeberechtigten Mutter durchgeführt. Die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen das Anfechtungsrecht des rechtlichen Vaters, dass eine Verwendung heimlicher Vaterschaftstests nicht zulässt. Damit  steht diese Regelung nach Auffassung der Beschwerdeführer ihrem Anspruch auf Kenntnis, ob das anerkannte Kind tatsächlich von dem jeweiligen Vater abstammt, entgegen.

Die aufgeworfenen Rechtsfragen richten sich auf die Zulassung von Beweismaterial, das widerrechtlich beschafft wurde. Mit der Nichtberücksichtigung dieses Beweismaterials wird ein verfassungswidriger Vorrang des informationellen Selbstbestimmungsrechtes des Kindes vor den allgemeinen Persönlichkeitsrechten des gesetzlichen Vaters begründet. Mit diesem Vorrang sehen beide Beschwerdeführer übereinstimmend ihre Grundrechte aus Artikel 2 I Grundgesetz verletzt. Abweichend davon werden einzeln noch weitere Verstöße gegen die Grundrechte aus Artikel 1 I und den Artikeln 3 I, II, 6 I, 20 III und 103 i. V. m. den Artikeln 6,8 und 14 EMRK beanstandet.

Anfang 2005 wurden Planungen der Bundesjustizministerin, Brigitte Zypries, zu einem Gendiagnostikgesetz bekannt. Mit diesem Gesetz sollte ein generelles Verbot heimlicher Vaterschaftstests erfolgen. Im Zuge der Auseinandersetzung um diese Tests geriet das gesamte Vaterschaftsanfechtungsverfahren in die Kritik. Hierbei wurde deutlich, dass die aufgeworfenen Fragen neben der rechtlichen auch eine gesellschaftspolitische Dimension haben. Der VAMV ist der Ansicht, dass beide Fragestellungen getrennt voneinander erörtert werden müssen, um in der Summe der Betrachtungen zu einer Einschätzung zu gelangen.

1.    rechtliche Fragen  

Im Hinblick auf die rechtlichen Fragen ist zu klären, ob ein Vaterschaftstest, der ohne Wissen des betroffenen Kindes und/oder der sorgeberechtigten Mutter eingeholt wurde, als Beweismittel für die Anfechtung einer Vaterschaft zulässig sein kann oder ob sich auf dieser Grundlage ein Anfangsverdacht gegen eine Vaterschaft begründet lässt.

Die Heimlichkeit dieser Tests wirft zunächst das tatsächliche Problem der zweifelsfreien Zuordnung auf. Es kann nicht sicher festgestellt werden, ob das untersuchte Material auch tatsächlich von den entsprechenden Personen stammt. Die Haarbürste eines Kindes kann durchaus auch von anderen Personen, insbesondere Freunden oder anderen Familienmitgliedern benutzt worden sein. Die fehlende zweifelsfreie Zuordnung des untersuchten Materials zu einer bestimmten Person widerspricht einer Verwendung der Untersuchungsergebnisse.

Noch schwerer wiegt die Tatsache, dass das untersuchte Material rechtswidrig erlangt wurde und damit nicht für eine rechtmäßige Vaterschaftsanfechtung genutzt werden darf. Die Rechtswidrigkeit ergibt sich aus der fehlenden Zustimmung des Kindes und/oder dessen allein sorgeberechtigter Mutter zur Entnahme der Proben und der Durchführung des Tests. Vor dem Hintergrund des informationellen Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen kann eine Untersuchung von genetischem Material nicht ohne dessen Einverständnis erfolgen.

Würde anders verfahren, wäre einem Missbrauch von Daten in einem nicht zu begrenzendem Maß Vorschub geleistet. Wer sollte dann z. B. einer Versicherungsgesellschaft verwehren, sich entsprechende Daten von versicherten Personen zu verschaffen, um eine Abwägung der Risiken vorzunehmen.  

Die Beschwerdeführer stellen in ihrer weiteren Argumentation darauf ab, dass mit der Nichtberücksichtigung der Ergebnisse der heimlichen Vaterschaftstests dem informationellen Selbstbestimmungsrecht des Kindes ein Vorrang vor dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Vaters eingeräumt wird.  
Der BGH hat mit seinem Urteil vom 12. Januar 2005 (XII ZR 60/03) weder dem Kind noch dem Vater einen Vorrang bei den Persönlichkeitsrechten eingeräumt.
 
Folgt man der Begründung des BGH, dann geht es eben nicht um einen Vorrang von Rechten, sondern darum, was zur Durchsetzung des jeweiligen Rechts zulässig ist. Ein heimlicher Vaterschaftstest dient nicht dem Schutz des Persönlichkeitsrechts des Vaters. Vielmehr verletzt es einseitig die Rechte des Kindes. Eine Ausgewogenheit kann nur dann gewährleistet werden, wenn auf legalem Wege ein Anfechtungsverfahren durchgeführt und dessen Bestimmungen berücksichtigt werden.  

Die Voraussetzungen, die für ein Anfechtungsverfahren gegeben sein müssen, wurden nur im Zusammenhang mit der Zulassung von heimlichen Vaterschaftstests als Beweismittel in den vorliegenden Beschwerden angegriffen. Das eigentliche Verfahren war nicht Gegenstand der aufgeworfenen Rechtsfragen.

2.    gesellschaftspolitische Fragen

Der wissenschaftliche Fortschritt der letzten Jahre hat zu einer fast vollständigen Entschlüsselung des menschlichen Genoms geführt. Damit ist es möglich, die genetischen Daten einer Person umfassend zu analysieren und eventuelle Dispositionen für bestimmte Krankheiten festzustellen. Gleichzeitig wurde das technische Verfahren zur Gendiagnostik weiter optimiert und vereinfacht. Diese neuen Möglichkeiten schaffen nicht nur erhebliche Potenziale zur frühzeitigen Behandlung von Erkrankungen und der einfachen Vaterschaftsfeststellung, sondern bergen ebenso die Gefahr in sich, dass höchstpersönliche Daten missbräuchlich genutzt werden.

Es wird daher immer notwendiger, die Bürger/innen vor dem unbefugten Zugriff auf ihre genetischen Daten zu schützen. Gentechnische Untersuchungen müssen generell von dem Einverständnis des/der Betroffenen abhängig sein. Das gilt auch für eine Vaterschaftsfeststellung.

Vor diesem Hintergrund erscheint die Debatte, die in der Öffentlichkeit um die Rechte von Vätern geführt wurde, unverständlich. Teilweise wurden dabei Mütter gegenüber Vätern unter einen betrügerischen Generalverdacht gestellt. Die Verantwortungsübernahme des Mannes und Vaters wurde zu einem Kampf der Geschlechter um die Gewissheit um die tatsächliche Abstammung des Kindes verengt (vgl. Amendt, offener Brief an Frau Zypries, Januar 2005).

Ungeachtet dessen, dass ein Betrug auch im Hinblick auf eine Vaterschaft immer schwer wiegt und nicht zu rechtfertigen ist, hat das Kind dies nicht zu verantworten. Auch bedeutet eine Vaterschaft mehr als die Feststellung der genetischen Abstammung. Neben der biologischen und rechtlichen gibt es die soziale Vaterschaft. Gerade in Zeiten, in denen instabile Partnerschaften zunehmen, gewinnt diese Form der Vaterschaft für zahlreiche Kinder an Bedeutung. Vaterschaft ist eben mehr als eine Frage der Genetik.

Ebenso darf in der ganzen Diskussion um die Frage der genetischen Abstammung nicht das Kind mit seinem Anspruch auf Rechtssicherheit aus dem Blick geraten. Folgerichtig sind im Gesetz Hürden für eine Vaterschaftsanfechtung vorgesehen. Diese Hürden dienen dem Schutz des Kindes.

Erkennt ein Mann eine Vaterschaft an, muss er zu diesem Zeitpunkt prüfen, ob er auch tatsächlich der biologische Vater des Kindes sein kann. Durch die Möglichkeit der Überprüfung einer Vaterschaft zu diesem Zeitpunkt werden die Persönlichkeitsrechte des Vaters geschützt. Verzichtet der Vater auf diesen Nachweis, ist dies ebenso seine freie Entscheidung wie die Anerkennung der Vaterschaft. In den vorliegenden Fällen haben beide Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt mit der jeweiligen Mutter des Kindes in einer häuslichen Gemeinschaft gelebt. Trotzdem haben beide Beschwerdeführer keine Vaterschaftsfeststellung durchführen lassen und die Vaterschaft anerkannt.

Selbst in den Fällen, in denen nach Anerkennung der Vaterschaft und abgelaufener Frist zur Anfechtung, Umstände bekannt werden, die begründete Zweifel an einer biologischen Vaterschaft aufkommen lassen, kann diese noch angefochten werden.


Fazit

Mit den geltenden Bestimmungen hat der Gesetzgeber den Interessen beider Parteien Rechnung getragen. Der Vater hat die rechtliche Möglichkeit, seine Vaterschaft anzufechten. Die notwendigen Voraussetzungen, die für eine Anfechtung gegeben sein müssen, dienen dem Schutz des Kindes.

In den vorliegenden Fällen führten nicht die Gentests zum Zweifel an der Vaterschaft. Sondern weil ein Zweifel entstanden war, wurden die Tests durchgeführt. Wenn die Gründe für einen Zweifel so stark gewesen wären, dass sie ein Anfechtungsverfahren begründet hätten, dann kann davon ausgegangen werden, dass entsprechende Tests im Rahmen dieser Verfahren durchgeführt worden wären.

Da die Kläger auf solche Gründe nicht verweisen konnten, ist ihnen zum einen die Anfechtung und zum anderen auch die Durchführung eines Gentests verwehrt. Eine Verwendung illegal erlangter Beweismittel in einem ordentlichen Verfahren zur Vaterschaftsanfechtung lehnt der VAMV grundsätzlich ab.

Der Wille des Gesetzgebers besteht eben darin, ab einem bestimmten Zeitpunkt besonders hohe Hürden für eine Vaterschaftsanfechtung festzulegen. Mit der Konsequenz, dass die rechtliche und biologische Vaterschaft durchaus auseinander fallen können.

Kaum eine andere Rechtsfolge ist mit so vielen objektiven Verpflichtungen und emotionalen Verbindungen verknüpft, wie die Anerkennung einer Vaterschaft. Sie berührt die schönsten und zugleich schwierigsten zwischenmenschlichen Beziehungen. Ohne ein Mindestmaß an gegenseitigem Vertrauen kommen diese Beziehungen nicht aus.

In der Auseinandersetzung zu den Fragen der Abstammung des Kindes, hat das Kind selbst die schwächste Position. Gleichzeitig hat es einem begründeten Anspruch auf Rechtssicherheit. Für diese Sicherheit ist es notwendig, dass die Hürden zur Anfechtung der Vaterschaft in der bisherigen Form erhalten bleiben.

Der VAMV ist der Auffassung, dass mit dem derzeitigen Anfechtungsrecht des rechtlichen Vaters eine Verletzung der Grundrechte der Beschwerdeführer aus Artikel 2 I nicht besteht. Auch die Grundrechte aus Artikel 1 I und den Artikeln 3 I, II, 6 I, 20 III, und 103 i. V .m. den Artikeln 6, 8 und14 EMRK werden mit dieser Rechtsvorschrift nicht verletzt.