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Daten und Fakten

Erbrechtliche Gleichstellung nichtehelicher Kinder soll vollendet werden


Stellungnahme vom 15. April 2010 zum Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder

I. Vorbemerkung
Der Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder hat sich zum Ziel gesetzt, die noch vorhandene Ungleichbehandlung nichtehelicher Kinder im Erbrecht zu beseitigen . Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) kritisiert mit Nachdruck die starke Diskrepanz, die zwischen dieser Zielsetzung und den Ausführungen in der Gesetzesbegründung auf der einen Seite und den Regelungen des Gesetzes auf der anderen Seite besteht.

Der VAMV lehnt den Gesetzesentwurf in einem wesentlichen Punkt ganz entschieden ab: Die vorgesehenen Regelungen setzen der Ungleichbehandlung der vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder kein Ende, sondern perpetuieren diese für alle Fälle, in denen es überlebende Ehefrauen oder Lebenspartner gibt. Das heißt, dass die Anzahl der Fälle, in denen eine erbrechtliche Ungleichbehandlung der nichtehelichen Kinder weiterhin vorgesehen ist, zwar verringert, aber für eine nicht unbeträchtliche Zahl der Fälle nicht beendet wird.

Zwei Beispiele sollen die neue Rechtslage verdeutlichen:

Erstes Beispiel:
Der Mann A stirbt am 30. Mai 2009. Seine Ehefrau B ist schon 2008 gestorben. Er hinterlässt zwei Erben: Seinen ehelichen Sohn C und seinen nichtehelichen Sohn D (der vor dem 1. Juli 1949 geboren ist). Die Erbschaft besteht aus zwei Häusern, die beide gleich viel wert sind. Nach dem neuen Recht erbt jeder Sohn ein Haus. In diesem Fall sieht der Entwurf tatsächlich eine vollständige erbrechtliche Gleichstellung der beiden Kinder vor.

Zweites Beispiel:
Der Mann A stirbt am 30. Mai 2009. Er hinterlässt zwei Erben: Seine Ehefrau und seinen nichtehelichen Sohn D (der vor dem 1. Juli 1949 geboren ist). Einen ehelichen Sohn hat er in diesem Beispiel nicht. Die Erbschaft besteht aus zwei Häusern, die beide gleich viel wert sind. Nach dem neuen Recht erbt Ehefrau B beide Häuser. Bis zu ihrem Lebensende ist sie Eigentümerin beider Häuser. Das eine Haus erbt sie ohne Beschränkungen, das andere Haus erbt sie als Vorerbin. So darf sie das Grundstück beispielsweise nicht verkaufen oder verschenken und muss das Haus ordnungsgemäß verwalten. Verletzt die Vorerbin ihre Pflichten, so hat der Nacherbe einen Schadensersatzanspruch (wobei er diesen im Zweifel gerichtlich durchsetzen muss). Überlebt Ehefrau B ihren gestorbenen Ehemann A um 20 Jahre, so erbt der nichteheliche Sohn D erst 20 Jahre nach dem Tod von A.

Wäre Sohn D ein eheliches Kind, hätte Ehefrau B das eine Haus geerbt und Sohn D zum gleichen Zeitpunkt das andere Haus. In diesem Fall sieht der Entwurf also in der Praxis alles andere als eine vollständige erbrechtliche Gleichstellung der beiden Kinder vor. Die nichtehelichen Kinder erhalten damit ein Erbrecht zweiter Klasse.

Des Weiteren sieht der Entwurf für die vor dem 1. Juli 1949 geborenen und unter Artikel 235 § 1 Absatz 2 EGBGB fallenden nichtehelichen Kinder aus dem Beitrittsgebiet eine Schlechterstellung vor: Erbten sie bislang wie eheliche Kinder, so sollen sie nach den neuen Regelungen ebenfalls nur noch die Stellung eines Nacherben erhalten. Dies wird vom VAMV abgelehnt.

Der VAMV kritisiert auch den Ausschluss der Verwandtschaft nichtehelicher Kinder von der Erbfolge, wenn die nichtehelichen Kinder selbst sowie ihre Eltern vor dem 29. Mai 2009 verstorben sind. Angesichts der heutigen gesellschaftlichen Verhältnisse kann es der VAMV nicht befürworten, dass Verwandte von nichtehelichen Kindern erbrechtlich anders behandelt werden sollen als Verwandte von ehelichen Kindern.

Der VAMV vertritt die Interessen Alleinerziehender und ihrer Kinder. Aus seiner Tradition heraus - gegründet wurde der Verband 1967 als Verband lediger Mütter - vertritt er insbesondere auch die Interessen von Kindern alleinerziehender Eltern, die nicht miteinander verheiratet sind. Infolgedessen ist die rechtliche, politische und gesellschaftliche Gleichstellung dieser Kinder eines seiner zentralen Anliegen.

Nichteheliche Kinder und ihre Mütter haben lange genug unter einem Rechtssystem gelitten, das die Interessen der ehelichen Familie über die Interessen der Unverheirateten und ihrer Kinder stellte. Erst 1998 wurde der Ungleichbehandlung mit der Kindschaftsrechtsreform und dem Erbrechtsgleichstellungsgesetz weitestgehend ein Ende gesetzt. Nun wird vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) angemahnt, die erbrechtliche Gleichstellungslücke, die für die vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder gelassen wurde, zu schließen. Vor diesem Hintergrund kann der VAMV nicht nachvollziehen, warum der vorliegende Gesetzesentwurf nicht endlich die Gelegenheit ergreift, ein für allemal mit der Ungleichbehandlung vergangener Zeiten aufzuräumen, soweit dies rechtlich möglich ist.

Es gibt zahlreiche Alternativen zum Gesetzesentwurf, von denen der VAMV in der folgenden Stellungnahme diejenigen vorschlägt, die im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten zumindest ex nunc eine vollständige erbrechtliche Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder herbeiführt und die Gruppe der vor dem 1. Juli 1949 Geborenen nicht mehr von dieser Gleichbehandlung ausschließt.

Zu den einzelnen Punkten des Entwurfes nimmt der VAMV wie folgt Stellung:

II. Zum Titel des Gesetzes: Zweites Gesetz zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder
Der Titel des Gesetzes ist nach Ansicht des VAMV irreführend. Die Regelungen zielen nicht darauf ab, die vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder vollständig gleichzustellen. So wie das Gesetz im Entwurf angelegt ist, wäre "Gesetz zur Abmilderung der erbrechtlichen Ungleichbehandlung von vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kindern" der treffendere Titel.

III. Zu Artikel 1: Änderung des Gesetzes über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder

1. Zu Nr. 1 a): Änderung von Artikel 12 § 3 Absatz 1 NEhelG

Die Regelung des Artikel 12 § 3 Absatz 1 NEhelG dient dazu, die rechtlich anerkannte Verwandtschaft zwischen Vater und Kind von einem gewissen Zeitpunkt an keine erbrechtlichen Auswirkungen mehr entfalten zu lassen, und zwar immer dann, wenn alle unmittelbar Beteiligten, nämlich Vater, Mutter und Kind, zu einem bestimmten Zeitpunkt bereits verstorben sind. Damit werden alle Verwandten des nichtehelichen Kindes vom Erbe ausgeschlossen.

In der heutigen Zeit gibt es nach Ansicht des VAMV keinen Anlass mehr, derartige Rechtsinstrumente einzusetzen. Der Referentenentwurf begründet die Aufrechterhaltung dieses Rechtsinstruments, wenn auch mit aktuellerem Datum, damit, dass es keinen Anlass gäbe, in der weiteren Verwandtschaft eine Neuordnung der erbrechtlichen Beziehungen vorzunehmen, wenn alle unmittelbar Beteiligten bereits verstorben sind. Hintergrund der Regelung ist damit die Ansicht, dass die Erbinteressen der Verwandten eines Mannes über die Erbinteressen der Verwandten seines nichtehelichen Kindes gestellt werden sollen.

Durch das Verschieben des Datums in die neue Zeit soll bewirkt werden, dass die neuen, ab dem 29. Mai 2009 geltenden Regelungen nur für zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Regelung noch lebende nichteheliche Kinder gilt. Ist das nichteheliche Kind bereits verstorben, sollen die Kinder und andere Verwandte des nichtehelichen Kindes von der Erbfolge ausgeschlossen bleiben.

Der VAMV kann keinen Grund erkennen, aus dem die Verwandtschaft des nichtehelichen Kindes anders behandelt werden sollte als die Verwandtschaft des ehelichen Kindes. Sind keine nahen Verwandten mehr am Leben, führt das Erbrecht immer dazu, dass oft völlig unbekannte und schwer zu ermittelnde entfernte Verwandte erben.

Angesichts der vom EGMR ausdrücklich festgestellten hohen Bedeutung der zivilrechtlichen Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder  darf es nach Ansicht des VAMV keine Rolle spielen, ob die entfernten Verwandten mit dem ehelichen oder mit dem nichtehelichen Kind des Erblassers verwandt sind. Der VAMV sieht die erbrechtlichen Beschränkungen für Verwandte des nichtehelichen Kindes als anachronistisch an und lehnt sie ab.

2. Zu Nr. 1 b): Änderung von Artikel 12 § 3 Absatz 2 NEhelG
Es handelt sich lediglich um redaktionelle Änderungen.

3. Zu Nr. 2: Änderung von Artikel 12 § 10 NEhelG
a) zum neuen Artikel 12 § 10 Absatz 2 NEhelG

aa) Die neue Regelung
Die geltende Stichtagsregelung verweist für das erbrechtliche Verhältnis eines vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kindes zu seinem Vater und dessen Familie auf die vor Inkrafttreten des Nichtehelichengesetzes geltenden Vorschriften, nach denen zwischen Kind und Vater kein verwandtschaftliches Verhältnis bestand und infolgedessen das nichteheliche Kind vom Erbrecht ausgeschlossen war. Diese Stichtagsregelung wurde vom EGMR als nicht konventionskonform angesehen. Der Entwurf sieht deshalb eine Streichung dieser Stichtagsregelung vor. Dies wird vom VAMV grundsätzlich befürwortet.

Die Regelung, die an die Stelle der bisherigen Stichtagsregelung tritt, hält jedoch nicht, was sie verspricht. Sie führt in der Gruppe der vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder eine so genannte "Härtefallregelung"  ein. Diese besagt, dass die betroffenen nichtehelichen Kinder im Verhältnis zur Ehefrau oder zum Lebenspartner des Vaters nur Nacherben werden. Das bedeutet, dass zunächst die überlebende Ehefrau oder der überlebende Lebenspartner den Vater des nichtehelichen Kindes beerben und das nichteheliche Kind erst nach dem Tod der Ehefrau oder des Lebenspartners erbt.

In der Begründung ist von der vollständigen Abschaffung der Stichtagsregelung die Rede. In allen Erbfällen nach Vätern nichtehelicher Kinder ab dem 29. Mai 2009 seien "jetzt auch die vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder erbrechtlich in vollem Umfang gleichgestellt" . Das mag zwar juristisch insoweit korrekt sein, als sowohl Vorerben als auch Nacherben als "echte" Erben im Sinne des Gesetzes gelten. In den praktischen Auswirkungen aber ist eine Nacherbschaft im Vergleich zu einer normalen Erbschaft ein elementarer Nachteil, selbst wenn wie im Entwurf die Befreiung des Vorerben von seinen Beschränkungen und Verpflichtungen ausgeschlossen wird. Da der Nacherbe "echter" Erbe ist, erhält er auch keinen Pflichtteil. Erlebt er also den Tod des Vorerben nicht mehr, weil er selbst vorher stirbt, geht er leer aus. Es erben allerdings dann seine Erben.

Die Beispiele in der Vorbemerkung haben die neue Rechtslage bereits verdeutlicht.

Die Nacherbschaftsregelung muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass die vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder am 30. Mai 2009 bereits mindestens 59 Jahre alt sind.

bb) Die Begründung der neuen Regelung
Der Entwurf sieht alle Fälle, in denen es eine überlebende Ehefrau oder einen überlebenden Lebenspartner gibt, ausnahmslos als "Härtefälle" an, die es rechtfertigen, das Erbrecht des nichtehelichen Kindes im Gegensatz zum Erbrecht eines ehelichen Kindes einzuschränken.

Die Begründung dafür lautet wie folgt: "Damit soll dem Vertrauen des Erblassers in den Fortbestand der bisherigen Rechtslage Rechnung getragen werden. Da der Erblasser bisher nicht davon ausgehen musste, dass auch sein nichteheliches Kind erbt, hatte er keine Veranlassung, etwaige abweichende Vorstellungen hinsichtlich des Erbes seiner Ehefrau oder seines Lebenspartners durch Verfügungen unter Lebenden oder von Todes wegen umzusetzen" .

Im Klartext bedeutet das:

1.    Der Vertrauensschutz des Erblassers und seiner Frau/seines Lebenspartners wird über die Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder gestellt.

2.    Es wird unterstellt, dass die Ungleichbehandlung keine schwerwiegende und daher zumutbar sei, weil die Ehefrau/ der Lebenspartner in der Regel der gleichen Generation angehören wie der verstorbene Vater und deshalb mit dem Eintritt des Nacherbfalls in nicht allzu langer Zeit zu rechnen ist.

cc) Zum Vertrauensschutz
Der EGMR hat in seiner Entscheidung vom 28. Mai 2009 ausdrücklich festgestellt, dass der Schutz des Vertrauens des Erblassers und seiner Familie dem Gebot der Gleichbehandlung nichtehelicher und ehelicher Kinder unterzuordnen ist . Die zu früheren Zeiten angeführten Argumente für die Aufrechterhaltung der Stichtagsregelung sieht der EGMR als "nicht mehr zeitgemäß" an . Dieser Auffassung schließt sich der VAMV an.

Auch die Begründung des vorliegenden Entwurfs kommt zum Schluss, dass "seit der Entscheidung des EGMR ein Zustand der Rechtsunsicherheit bestand, so dass ein gefestigtes und damit schutzwürdiges Vertrauen in die Beständigkeit des bislang geltenden Rechtszustandes nicht mehr angenommen werden konnte". Daraus leitet der Entwurf folgerichtig die Berechtigung des Gesetzgebers zu einer rückwirkenden Änderung der Rechtslage her. Der VAMV ist der Ansicht, dass dort, wo sich kein schutzwürdiges Vertrauen mehr bilden konnte, also ab dem 29. Mai 2009, auch kein Vertrauen da ist, das mit der neuen Reglung geschützt werden könnte, sollte oder müsste. Das muss nach Ansicht des VAMV für Ehefrauen und Lebenspartner ebenso gelten wie für eheliche Kinder und andere Verwandte des Erblassers. Wenn aber kein schützenswertes Vertrauen mehr entstehen konnte, darf auch das Erbrecht des nichtehelichen Kindes nicht eingeschränkt werden, "um dem Vertrauen des Erblassers in den Fortbestand der bisherigen Rechtslage Rechnung zu tragen".

An anderer Stelle spricht die Begründung davon, dass eine Streichung der Stichtagsregelung für die Zukunft grundsätzlich rechtlich unproblematisch möglich sei . Diese Auffassung teilt der VAMV in vollem Umfang und plädiert deshalb dafür, die Stichtagsregelung des Artikel 12 § 10 Absatz 2 NEhelG zu streichen und auf die so genannte "Härtefallregelung" des neuen Artikel 12 § 10 Absatz 2 NEhelG zu verzichten, um eine echte erbrechtliche Gleichstellung der vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder zu erreichen.

dd) Zur Zumutbarkeit
Nach Ansicht des VAMV lässt die Verneinung der Entstehung schützenswerten Vertrauens ab dem Urteilszeitpunkt keinen Spielraum für Zumutbarkeits- und Verhältnismäßigkeitserwägungen.

Vorsorglich weist der VAMV jedoch daraufhin, dass die Prämissen, die der Entwurf für die Zumutbarkeit eines Nacherbrechts für das nichteheliche Kind anführt, auf tönernen Füßen stehen.

Der Entwurf geht davon aus, dass im Regelfall die Ehefrau oder der Lebenspartner ebenfalls der Generation des Erblassers angehört, so dass es dem nichtehelichen Kind "zuzumuten ist, im Verhältnis zu ihr oder ihm zunächst lediglich die Stellung eines Nacherben innezuhaben". Prominente Beispiele zeigen, dass bis zu 20 Jahre jüngere Ehefrauen (und darüber hinaus!) keine Seltenheit sind. Dies liegt auch in der Eingehung von Zweit- Dritt- und weiteren Ehen begründet, die gerne nach dem Muster "Je älter der Mann, desto jünger die Frau" geschlossen werden. Noch dazu liegt die Alterserwartung von Frauen statistisch höher als die von Männern .

Wenn die Gesetzesbegründung also argumentiert, hinsichtlich der Halbgeschwister sei dem nichtehelichen Kind die Stellung eines Nacherben nicht zuzumuten, weil diese "im Regelfall derselben Generation wie die nichtehelichen Kinder angehören oder sogar jünger sind", so dass "das nichteheliche Kind selbst das Erbe nicht oder erst in sehr hohem Alter antreten kann", kann dies ebenso auf viele Ehefrauen oder Lebenspartner zutreffen.

ee) Auswirkungen von gleichstellungspolitischer Bedeutung
Die im allgemeinen Teil der Begründung unter Punkt VI. gemachte Äußerung "Auswirkungen von gleichstellungspolitischer Bedeutung sind nicht zu erwarten" kann nicht richtig sein, wenn man bedenkt, dass die als "Härtefälle" deklarierten Fälle des neuen § 10 Absatz 2 NEhelG ausschließlich dazu dienen, das Vermögen der väterlichen Familie des nichtehelichen Kindes nur mit Verzögerung in die Hände der vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder und ihrer Abkömmlinge gelangen zu lassen, während das Vermögen der mütterlichen Familie eines vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kindes ohne Vorerbschaft direkt in die Hände des nichtehelichen Kindes und seiner Abkömmlinge gelangt.

ff) Forderung des VAMV
Der VAMV fordert, die neue Nacherbschaftsregelung des Artikel 12 § 10 Absatz 2 NEhelG zu streichen und die neuen Absätze 3 und 4 an die Stelle der Absätze 2 und 3 zu stellen. Dadurch würde die Stichtagsregelung tatsächlich in vollem Umfang entfallen und nicht im Rahmen der Nacherbschaftsregelung durch die Hintertür für einen Teil der vor dem 1. Juli 1949 Geborenen mit anderem Inhalt weitergeführt.

b) zum neuen Artikel 12 § 10 Absatz 3 NEhelG: Entschädigungsanspruch
Einem nichtehelichen Kind, dem aufgrund der Stichtagsregelung bis zur Entscheidung des EGMR kein gesetzliches Erbrecht nach seinem Vater zustand, nützt das neue Gesetz nichts, es sei denn, der Bund oder das Land sind an seiner Stelle Erbe geworden. Für diesen Fall wird dem nichtehelichen Kind ein Entschädigungsanspruch in Höhe der ihm entgangenen erbrechtlichen Ansprüche gegen Bund oder Land zugestanden. Zumindest der Staat muss also den Wert dieses Vermögenserwerbs an die betroffenen nichtehelichen Kinder herausgeben. Diese Regelung wird vom VAMV befürwortet.

c) zum neuen Artikel 12 § 10 Absatz 4 NEhelG: Auskunftsanspruch
Nach dieser neuen Regelung kann ein nichteheliches Kind, dem nach dem vorstehenden neuen Artikel 12 § 10 Absatz 3 NEhelG ein Entschädigungsanspruch gegen Bund oder Land zusteht, Auskunft über den Wert des Nachlasses verlangen. Die Kosten der Auskunft tragen der Bund oder das Land. Da die Auskunft zur Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs vonnöten ist, wird diese Vorschrift vom VAMV befürwortet.

IV: Zu Artikel 2 : Änderung des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch: Streichung des Bestandsschutzes für die erbrechtlichen Regelungen der ehemaligen DDR
Der Entwurf sieht die ersatzlose Streichung von Artikel 235 § 1 Absatz 2 EGBGB vor. Dieser betrifft das erbrechtliche Übergangsrecht anlässlich der Einführung des BGB und EGBGB durch den Einigungsvertrag im Beitrittsgebiet.

In der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik hatte es eine vergleichbare Stichtagsregelung zu Lasten von vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kindern nicht gegeben. Durch Artikel 235 § 1 Absatz 2 EGBGB wurde aus Gründen des Bestandsschutzes festgelegt, dass diejenigen nichtehelichen Kinder, für die das Erbrecht der DDR Geltung hatte, auch nach der Wiedervereinigung erbrechtlich wie eheliche Kinder behandelt werden.

Diese Gruppe der vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder erbt nach geltendem Recht wie eheliche Kinder. Die mit Artikel 235 § 1 Absatz 2 EGBGB bezweckte Vermeidung von beitrittsbedingten Nachteilen wurde vom Bundesverfassungsgericht noch 2003 als "hinreichender Grund für die unterschiedliche Behandlung der beiden Gruppen nichtehelicher Abkömmlinge"  gewertet.

Die dadurch geschaffene gespaltene rechtliche Lage in der Gruppe der vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder verschärfte noch die Ungleichbehandlung der vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder.

Der vorliegende Entwurf sieht aber vor, Artikel 235 § 1 Absatz 2 EGBGB ersatzlos zu streichen, mit der Begründung, dass diese Vorschrift mit der Aufhebung der Stichtagsregelung gegenstandslos werde, "da nichteheliche und eheliche Kinder erbrechtlich fortan ohnehin vollständig gleichgestellt sind".

Das ist, wie oben unter Punkt III. 3. a) dargestellt, nicht richtig.

Die ersatzlose Streichung von Artikel 235 § 1 Absatz 2 EGBGB führt zu einer Schlechterstellung der vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder aus dem Beitrittsgebiet. Werden sie nach geltendem Recht erbrechtlich wie eheliche Kinder behandelt, erben also ohne Einschränkung, so gelten für sie nach Wegfall des Artikel 235 § 1 Absatz 2 EGBGB die neuen Regelungen des Artikel 12 § 10 Absatz 2 NEhelG, das heißt, auch sie erben künftig nur als Nacherben, wenn es eine überlebende Ehefrau/einen überlebenden Lebenspartner gibt. Dies stellt einen gleichstellungspolitischen Rückschritt dar, den der VAMV nicht akzeptieren kann.

Selbstverständlich ist der VAMV der Ansicht, dass alle vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder gleich behandelt werden sollten, jedoch indem sie alle den ehelichen Kindern gleichgestellt werden und nicht, indem die durch Artikel 235 § 1 Absatz 2 EGBGB mit ehelichen Kindern bereits gleichgestellten nichtehelichen Kinder aus dem Beitrittsgebiet dieses Privileg wieder verlieren!

Der VAMV schlägt deshalb vor, die Stichtagsregelung, wie unter ff) dargestellt, komplett zu streichen. So würde die unerfreuliche Spaltung der rechtlichen Lage in der Gruppe der vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder ebenfalls beseitigt, aber ohne die unter Artikel 235 § 1 Absatz 2 EGBGB fallenden nichtehelichen Kinder schlechter zu stellen.

V. Zu Artikel 3: Inkrafttreten
Da mit dem Urteil des EGMR am 28. Mai 2009 jedes schützenswerte Vertrauen in den Fortbestand der alten Regelungen entfallen ist , ist es nach Ansicht des VAMV folgerichtig, die neuen Regelungen mit echter Rückwirkung zum 29. Mai 2009 in Kraft treten zu lassen. Der VAMV erkennt an, dass diese echte Rückwirkung zugunsten der nichtehelichen Kinder eine Rückabwicklung der Scheinerbschaft der Verwandten des Erblassers nach sich zieht und im Interesse der Gleichstellung der nichtehelichen Kinder und ihrer Verwandten erfolgt.

Der VAMV nimmt erfreut zur Kenntnis, dass der Entwurf wenigstens in diesem Punkt die Interessen der nichtehelichen Kinder nicht hinter den Interessen anderer Verwandter zurückstellt. Allerdings bleibt dem Gesetzgeber angesichts des ansonsten zu erwartenden Konventionsverstoßes Deutschlands auch kaum eine andere Wahl.

VI. Fazit
In Anbetracht der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sollte Deutschland endlich Schluss machen mit der Scheibchentaktik, die seit 1969 die vollständige Gleichstellung der nichtehelichen Kinder im Erbrecht Schritt für Schritt verhindert. Der vorliegende Gesetzesentwurf ist der Versuch, auf einem möglichst kleinen gemeinsamen Nenner die Vorgaben des EGMR umzusetzen, in der Hoffnung, Deutschland eine weitere schallende Ohrfeige wegen Konventionsverstoßes zu ersparen. Diese Hoffnung wird sich nicht erfüllen. Der EGMR hat klar zum Ausdruck gebracht, dass die Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder Vorrang vor dem Vertrauensschutz haben muss . Mit den vorliegenden Regelungen setzt Deutschland diese Vorgabe nicht um, sondern stellt genau umgekehrt den Schutz des Vertrauens der überlebenden Ehefrauen und Lebenspartner in den Fortbestand der bisherigen Rechtslage über die Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder. Auch wenn das Urteil des EGMR eine Einzelfallentscheidung ist und es durch die vorliegenden Besonderheiten des Falles einen gewissen Spielraum für die Umsetzung geben mag, so ist doch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass diese Regelungen vor dem EGMR keinen Bestand haben werden; es drängt sich der Eindruck auf, dass der Entwurf hier auf Zeit spielen will und hofft, dass sich angesichts des fortgeschrittenen Alters der beteiligten nichtehelichen Kinder ein Großteil der Fälle erledigt haben wird, bis der nächste Fall vor den EGMR kommt.

Der VAMV ist enttäuscht darüber, dass sich der politische Wille, Reste der Ungleichbehandlung von ehelichen und nichtehelichen Kindern in zukünftiges Recht zu retten, wie ein roter Faden durch den Entwurf zieht. Anhand der vom Entwurf in der Zumutbarkeitsabwägung getroffenen Entscheidung, das Vertrauen des Erblassers und seiner Ehefrau/seines Lebenspartners zulasten des nichtehelichen Kindes zu schützen, zeigt sich deutlich, dass die Argumente aus den Debatten der Sechziger Jahre (das nichteheliche Kind trägt Unfrieden in die eheliche Familie und darf deshalb unter keinen Umständen Mitglied der Erbengemeinschaft werden ) immer noch lebendig sind. Obwohl diese Argumentation mit dem Erbrechtsgleichstellungsgesetz 1998 eigentlich weitgehend überwunden wurde, soll sie nun nach dem Willen des Entwurfes für eine bestimmte Generation lebenslang Geltung behalten.

Die Justizministerin hat in ihrer Pressemitteilung  zur Ankündigung des Gesetzesentwurfes formuliert: "Die politischen Weichenstellungen sind in der Gesellschaft angekommen. Heute ist es kein Makel, nicht verheiratete Eltern zu haben". Sie spricht davon, die erbrechtliche Gleichstellung nichtehelicher Kinder vollenden zu wollen. Der vorliegende Entwurf wird beiden Aussagen nicht gerecht.

Der VAMV fordert deshalb, den Entwurf anhand der oben dargestellten Kritikpunkte zu ändern und die nichtehelichen Kinder und ihre Verwandten ohne Ausnahme ab dem 29. Mai 2009 vollumfänglich erben zu lassen.